Die körperlichen Symptome, die mich schon seit einem Jahr heimsuchten, wurden immer schlimmer. Ich vergaß alles und jedes. Konnte mich nicht mehr erinnern, wo ich die Schlüssel hingelegt hatte und fragte mich auf dem Weg zum Klo, was ich eigentlich wollte. 50 Meter vor der Haustür, verlief ich mich mit dem Hund beim Gassi gehen und verlor die Orientierung. Ich starrte meine Gesprächspartner an und konnte kaum noch antworten, weil ich ihnen schon nach drei Wörtern nicht mehr folgen konnte. Was war der Anfang des Satzes? Wovon spricht er? Ich wusste es nicht. Tage später brach ich im Supermarkt weinend zusammen. Ich wusste nicht mehr warum. Ich wollte nur noch, dass es aufhört. Das letzte woran ich mich erinnere ist, dass ich meinen besten Freund noch angerufen habe und er brachte mich in die Klinik. Ich ließ mich in die geschlossene Psychiatrie einweisen. Ich hatte Angst vor der plötzlichen Todesstimme im Kopf, die vehement mein Ende forderte.
Ich hatte auch Angst vor Menschen, die in meinen Kopf schauten und sich erdreisteten mir zu erklären, wie ich ticke. Heute bin ich ihnen sehr dankbar. Ich hatte ständig Angst vor mir selbst. Auch weil der Schmerz einfach nicht nachlassen wollte. Ich habe fast vier Wochen lang Tag und Nacht geweint. Die Körperlichen Schmerzen waren so groß, dass ich verrückt geworden wäre, wenn ich es nicht schon gewesen wäre. Ich war in der geschlossenen Pychiatrie und stellte fest: Wer hier ist, hat nichts mehr vom Leben zu erwarten. Wir wurden verwahrt und ruhig gestellt. Auch ich. „Gott sei Dank“ muss ich sagen, sonst hätte mich die Heulerei umgebracht.
Schließlich kam ich in andere Abteilungen, wurde zu meiner allergrößten Überraschung mit Depressionen diagnostiziert und lernte mich im Laufe der darauf folgenden 4 Monate selbst kennen. Erschrocken stellte ich fest, wie viele Jahrzehnte ich schon depressiv war und entdeckte die Wurzeln meiner Krankheit und verstand, auf welchen Säulen meine Psyche ruhte. Ich verstand, wie ich tickte, was passiert wenn eine Säule bricht und analysierte die Art und Weise, wie ich den Herausforderungen des Lebens begegne. Lernte meinen persönlichen Schmerz von einer neuen Seite zu betrachten, zu verstehen, zu verachten und ihm neu zu begegnen. Ich verstand mich und verstand plötzlich, wie ich dem Leben begegnen musste, um mich ganz langsam aus der Depressionsfalle zu schleichen.
Heute, rund sechs Jahre später sind meine Depressionen kaum noch spürbar. Weg sind sie nicht aber beherrschbar.